Grenzenlose Seelenpfade

Zwischen Göttern und Engeln ist sogar das Oktoberfest spirituell

Das Münchner Oktoberfest spirituell betrachten, ist schwierig? Auf den ersten Blick gesehen, muss ich sagen: Ja, das stimmt. Aber wenn man genauer und auch mal mit einem Augenzwinkern hinschaut, dann kann man auf der Wies’n spirituelle Spuren entdecken.

Liebe in der Spiritualität und auf der Wies‘n

Fangen wir doch gleich mal mit der Liebe an. Die spielt spirituell eine große Rolle. Die Karten werden nach dem Herzallerliebsten befragt, es gibt Zeremonien rund um die Liebe, das liebevolle Herz-Chakra sollte nicht blockiert sein und Jenseits-Kontakte werden auch nur zu den Ahnen oder Tieren gesucht, die man liebt. Es gibt noch viele Liebes-Beispiele in der Spiritualität, die großen Wert auf Liebe, Harmonie und das Miteinander legt und auch verspricht, dass man von Gott und den Engeln geliebt wird.

Der römische Liebesgott Amor hat die Flügel verloren

Und auf dem Oktoberfest? Es gibt Paare, die sich auf der Wies‘n kennen und lieben gelernt haben. Meistens hat das Anbandeln mit einem Herzerl fürs Herzerl – also einem Lebkuchenherz inklusive Grußbotschaft begonnen. Für manche Paare wurde die Wies’n-Liebe sogar zur lebenslangen Liebe. Aber Schluss mit Gefühlsduseleien. Amor ist auf dem Oktoberfest seit ewigen Zeiten Stammgast. Allerdings sitzt er als Engel mit Pfeil und Bigen auf dem Nachttopf und weist mit seinem Pfeils und Bogen den Weg zu den Toiletten. Und die Flügel fehlen ihm – warum auch immer – auch noch. Wahrscheinlich ist dem Künstler dieser Figur entgangen, dass der römische Liebesgott als Knabe mit Flügeln dargestellt wird.

Wer nicht auf die Dirndl-Schleife achtet, könnte Sternderl sehen

Bleiben wir noch bei der Liebe: Das Dirndl hat auch etwas damit zu tun. Nein, ich rede jetzt nicht vom tiefen Blick in den noch tieferen Ausschnitt. Ich rede von der Schleife: Wer auf der Wies’n seine Herzallerliebste sucht, der sollte unbedingt auf die Schleife achten: Wurde sie rechts gebunden, ist das Mädel verheiratet oder fest vergeben. Sitzt die Schleife links, dann ist sie ledig. Und wenn die Schleife hinten getragen wird, ist die Dame verwitwet. Aufpassen ist also ein guter ratschlag, denn wer ein Dirndl im Dirndl mir rechts getragener Schleife anbaggert, der riskiert womöglich einen Streit und könnte aus ganz anderen Gründen Sternderl sehen oder die Engerl singen hören.

Das erste Oktoberfest fand für eine königliche Liebe statt

Auch das erste Oktoberfest hatte etwas mit Liebe zu tun. Es wurde 1810 anlässlich der Hochzeit von Prinzregent Ludwig von Bayern (der spätere König Ludwig I.) und Prinzessin Therese von Sachsen-Hildburghausen abgehalten. Fahrgeschäfte gab es damals noch nicht. Das erste Oktoberfest war noch ein Pferderennen.

Rasante Fahrten zu Göttern, Geistern und Dämonen

Götter und Engel – mit denen wird das Oktoberfest spirituell und sie sind mitten unter den Besuchern. Vom Amor auf dem Nachttopf haben wir ja schon gehört, aber es gibt auch noch den griechischen Meeres-Gott Poseidon und die griechische Siegesgöttin Nike. Die trifft man bei einer rasanten Fahrt durch einen Tempel mit Wasserfontänen, Wächtern und Feuerschalen. Eine Neuheit auf der diesjährigen Wies’n.

Ein anderes Fahrgeschäft entführt die Besucher auf den magischen Berg und in die „Star World-Galaxie“. Andernorts geht es weniger himmlisch zu: Mehrere Geisterbahnen haben Gespenster, den Sensenmann, Frankenstein, Dracula, Zombies, Dämonen und Drachen zum gruseligen Stell-Dich-ein der Unterwelt eingeladen.

Man kann schon mal die innere und äußere Balance verlieren

Auf dem Teufelsrad mit beweglichem Boden und in der Hexenschaukel mit vertrackten Drehungen hat man Glück, wenn man weder die innere noch die äußere Balance verliert. Und in den Bierzelten wird wenig spirituell „Hölle, Hölle, Hölle“ gerufen, wenn Wolfgang Petry’s Hit „Wahnsinn“ gespielt wird. Übrigens: Der umstrittene Sing Layla ist auf dem Oktoberfest nicht verboten – und das im katholischen Bayern. Dazu sagt der Bayern dann doch fast spirituell staunend: „Sakra!“

In Bayern ist sogar das Bier spirituell

„Hopfen und Malz, Gott erhalt’s“ – ja, im katholischen Bayern ist nicht nur Manches auf dem Oktoberfest spirituell, sondern generell auch das Bier. Und das würdigt man eben mit diesem dankbaren Spruch, der zugleich eine Bitte um genügend Biervorrat ist. Die Wies’n startet sogar spirituell: Wenn das erste Fassl Bier angezapft wird, heißt es traditionell „Auf eine friedliche Wies’n“. Und Frieden ist doch nun wirklich ein wichtiger spiritueller Wunsch.

Übrigens: Bayerische Wies’n-Besucher bitten gerne den Petrus um schönes Wetter, denn das erfrischende Nass haben sie lieber im Maßkrug und in den soll es auch nicht reinregnen, weil das könnte ja das gute Bier verwässern.

Taufe und Erstkommunion für Schaustellerkinder

Wenn wir schon beim katholischen Glauben sind. Auf dem Oktoberfest gibt es immer einen traditionellen Gottesdienst. Diesmal wurden dabei vier Schaustellerkinder getauft und ein Schaustellerkind erhielt die Erstkommunion.

Der Engel Aloisius schwebt im Bierzelt

Ein Engel darf auf der Wies’n nie fehlen. Der Engel Aloisius. Er ist einer Geschichte von Ludwig Thoma entsprungen und die geht – sehr kurz gefasst – so: Der Alois Hingerl kam in den Himmel und war ziemlich enttäuscht, weil es dort kein Bier gab. Also kehrte er als Engel Aloisius zurück nach München und zwar direkt ins Hofbräuhaus, wo das Bier bekanntermaßen in Strömen fließt. Im Hofbräuhaus-Bierzelt schwebt der Aloisius hoch oben unterm Bierzeltdach.

Das Münchner Kindl war eigentlich ein frommer Mönch

Der Aloisius ist auch auf dem diesjährigen Wiesn-Plakat und dem Bierkrug 2022 zu sehen, und zwar Händchen haltend mit dem Münchner Kindl. Letzteres ist eine Figur im Münchner Stadtwappen und Botschafterin der Landeshauptstadt München. Und jetzt wird es wieder spirituell: Das Münchner Kindl ist immer eine junge Frau, aber eigentlich war es ein Mönch in schwarz-gelber Franziskaner-Kutte. Und schon stehen wir wieder vor einem Rätsel, warum wurde aus dem frommen Mann eine junge Frau? Sorry, ich weiß es nicht.

Dem Himmel so nah

Zu den bekannten Veranstaltungen gehören nicht nur der Einzug der Wies’n-Wirte und der Trachtenumzug. Beim großen Standkonzert mit rund 300 Musikern zu Füßen der bayerischen Patronin Bavaria fliegen tausende Luftballons himmelwärts, sobald die Bayernhymne angestimmt wird. Ja, die Bayern sind dem Himmel halt einfach nah.

Böllerschüsse vertreiben böse Geister

Auch die Böllerschüsse zu Beginn und zum Ende des Oktoberfestes haben etwas Spirituelles. Sie sind nicht nur ein lautstarkes Brauchtums-Geballer und  Ehrbezeugung gegenüber der Obrigkeit. Die Schüsse sollen mit Knall und Rauch auch böse Geister vertreiben. Und das kann auf keinen Fall schaden.

Na also, die Wies’n ist mehr als nur ein Saufgelage, ein Touristen-Magnet und eine Riesengaudi. Man kann sogar das Oktoberfest spirituell entdecken. Wer hätte das gedacht… Text: Marion Friedl / Foto: Gerald Förtsch